Französische Revolution und Deutschland

Französische Revolution und Deutschland
Französische Revolution und Deutschland
 
Belastet durch das Erbe der Großmachtpolitik Ludwigs XIV. (siehe auch Ludwig XIV. und die deutschen Staaten), schien das Frankreich Ludwigs XVI. vielen von der Aufklärung beflügelten Zeitgenossen der Reform zu bedürfen; vor allem musste der drohende Staatsbankrott abgewendet werden. Deshalb wurden am 5. Mai 1789 zum ersten Mal wieder seit 1614 die Generalstände einberufen. Die Abgeordneten des Dritten Standes (die Vertreter der Bürger, Handwerker und Bauern) erklärten sich zur Nationalversammlung; liberale Vertreter der ersten beiden Stände (Adel und Geistlichkeit) schlossen sich an. Die Erstürmung der Bastille, des alten Stadtgefängnisses, am 14. Juli 1789 durch das Volk von Paris löste schließlich Volksaufstände im ganzen Lande aus. Die Nationalversammlung beschloss die Beseitigung der Privilegien der beiden ersten Stände und die Aufhebung der Frondienste, verabschiedete am 26. August 1789 eine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte nach amerikanischem Vorbild und verkündete 1791 eine Verfassung, die eine konstitutionelle Monarchie vorsah, der Prototyp der bürgerlich-liberalen Verfassungen Europas im 19. Jahrhundert. - Um von der instabilen innenpolitischen Lage abzulenken, erklärte die Volksvertretung auf Betreiben der Girondisten, liberaler Abgeordneter aus dem Departement Gironde, Österreich im April 1792 den Krieg. Die radikalen Republikaner unter Robespierre (Bergpartei und Teile des Jakobinerklubs) verwarfen den Krieg und boten gegen den offen gegenrevolutionären König, der im Juni 1791 einen erfolglosen Fluchtversuch unternommen hatte, die Girondisten und das Volk von Paris auf (Sturm auf die Tuilerien). Der von der Bergpartei beherrschte Konvent proklamierte die Republik (neue Verfassung 1793). Die Girondisten, die 1793 die Hinrichtung des Königs und die Errichtung des Pariser Revolutionstribunals nicht verhindern konnten, wurden von Robespierre liquidiert. Bei der folgenden Schreckensherrschaft (»Terreur«) der Jakobiner fielen der Guillotine nun die Radikalen zum Opfer, ohne dass Robespierre die Gemäßigten gewinnen konnte, die ihn im Juli 1794 hinrichten ließen. Nach der 1795 verkündeten Verfassung bildete sich ein zunächst fünf-, dann dreiköpfiges Direktorium, das sich zunehmend in Abhängigkeit von Napoleon Bonaparte, dem siegreichen Oberbefehlshaber im Oberitalienfeldzug 1796/97, begab. Bei Abukir in Oberägypten durch den britischen Admiral Nelson zum ersten Mal besiegt, landete er am 9. Oktober 1799 in Frankreich und führte am 9. November 1799 einen Staatsstreich durch; die Revolution war, wie er selbst verkündete, beendet.
 
Im Gegensatz zu Frankreich waren in Deutschland reformerische Gedanken und Entwicklungen wesentlich vom aufgeklärten Absolutismus des Preußenkönigs Friedrich des Großen und des Habsburgers Joseph II. ausgegangen; Preußen und Österreich galten als Beispiele des Fortschritts. Außerdem fehlte in dem in eine Vielzahl von Territorien aufgeteilten Deutschland eine zentrale Hauptstadt wie Paris, in der sich das revolutionäre Geschehen abspielte. Überdies war das Bürgertum schwächer als in Frankreich. Die sozialen Gegensätze waren weniger ausgeprägt, die deutschen Staaten nicht in so hohem Maß verschuldet. So haben die Pariser Ereignisse in Deutschland keine ähnlichen revolutionären Ausbrüche ausgelöst, wenn es auch kurzfristig zu regionalen und lokalen Unruhen und zur Bildung von Jakobinerklubs kam und republikanische Bestrebungen sich regten. Die hervorragendsten Vertreter des deutschen Geisteslebens der Zeit, wie Schiller, Kant, Schlegel, Schelling, Wieland und andere begeisterten sich für die Ideen der Revolution von 1789, wenn auch bei vielen die Radikalisierung der Revolution Ernüchterung bewirkte. Unabhängig davon haben die Ideale von 1789 aber auch in Deutschland weitergewirkt und den Reformen der napoleonischen Zeit den Boden bereitet.

Universal-Lexikon. 2012.

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